Der Independence Geronimo 2 ist ein Jedermann-High-B. Er macht vieles angenehm unaufgeregt, ist dabei aber nicht träge.  
Der Geronimo 2 wirkt auf den ersten Blick nicht spektakulär, kommt aber mit einigen baulichen
Schmankerln in der B-Klasse daher. 59 Zellen, Shark-Nose, Gibus-Archs, ... 

Die im folgenden beschriebenen Eindrücke zum Independence Geronimo 2 habe ich in zwölf Flug- und Groundhandlingstunden unter unterschiedlichen Bedingungen in der Eifel und am Rhein gewonnen. Geflogen bin ich den Geronimo 2 in der Größe M (85-105 kg) mit rund 95 kg Startgewicht. Das Gurtzeug war ein Karpofly Extra Light (Liegegurtzeug). Der Schirm wurde mir für den Test freundlicherweise von Fly-market zur Verfügung gestellt.

Independence genießt vor allem im Bereich Rettungsschirme einen guten Ruf. Bei klassischen Gleitschirmen zählt Independence indes nicht zu den Marktführern. In den Ranglisten von XC-Contests oder in Foren-Diskussionen tauchen die Schirme seltener auf. Während über andere Modelle schon heiß diskutiert und spekuliert wird, wenn sie noch gar nicht auf dem Markt sind, fehlt Independence eine solche Aura und Lobby. Vielleicht mangelt es an Identifikationsfiguren? Während anderswo ein Luc Armant, ein Hannes Papesh, ein Gin Seok Song oder ein Bruce Goldsmith als „legendäre“ Konstrukteure den Schirmen ihren Stempel aufdrücken, setzt Independence seit einigen Jahren auf Anupe aus Sri Lanka. Ein Name ohne Geschichte im Gleitschirmsport. Das bedeutet freilich keineswegs, dass Anupe seine Sache nicht ebenso gut machen könnte.

Zugegeben: Der Geronimo 1, einer der ersten Independence-Schirme aus Anupes Feder, hatte mich bei einem Testflug vor einigen Jahren nicht gerade überzeugt. Ich habe ihn als etwas zäh, schwammig und mit der Tendenz zum Graben in Erinnerung. Doch in der Zwischenzeit sind einige weitere Schirme mit Anupe-Genen auf den Markt gekommen, die positiv überraschen konnten. Ein Beispiel ist der Skyman CrossCountry, den ich für Lu-Glidz vor einem Jahr testete.

Wer im Geronimo 2 nur eine Kopie des CrossCountry erwartet – mit dem Unterschied, dass sie aus Normaltuch (20D-Dominico) anstelle des dünnen 10D-Tuchs der Skymans gebaut ist – der irrt. Einige wichtige Grunddaten sind anders. Zum Beispiel basiert die Beleinung des Geronimo 2 auf drei Stammleinen pro Seite anstelle von nur zwei beim CrossCountry. Die Streckung ist etwas geringer (5,6), die Kappe baut etwas flacher, die Leinen sind etwas länger. Man darf den Schirm also getrost als eigene Entwicklung sehen. Auch wenn sich einige Charaktereigenschaften im Flug am Ende doch wieder ähneln.

Geöffneter Leinen-Clip beim Geronimo:
ein fein durchdachtes Detail.  
Im großen Rund der EN-B-Schirme bleibt der Geronimo 2 auf den ersten Blick eher unauffällig. Das Design ist zurückhaltend, die Beleinung klassisch (ummantelt und farbcodiert, nur die Galerie ist unummantelt), die Eintrittskante ziert eine moderate Shark-Nose. Doch wenn man genauer hinschaut, zeigen sich einige interessante wie lobenswerte Konstruktionsdetails, darunter: Die Diagonalrippen sind gewichtssparend als ausgeschnittener Fächer ausgeführt, über der C-Ebene sitzen Gibus-Bögen als Profilstützen, die dünnen Tragegurte sind an der Aufhängung verbreitert, und die Leinenschlösser sind mit dem besten Clip-System zur Fixierung der Leinen ausgestattet, das mir bei allen Testschirmen bisher untergekommen ist: Leicht zu öffnen und zu schließen, und es kann nichts verloren gehen (s. Foto). Wer auf so kleine Details achtet, sollte vielleicht auch im Großen überzeugen können. Das wollte ich mit meinem Test herausfinden.

Der Geronimo 2 ist ein sehr angenehmer Starter, der schnell seine
Spannung in Spannweite aufbaut.
Starten: Wer einen Schirm sucht, der einen beim Starten entspannt in die Luft bringt, der wird vom Geronimo 2 gut bedient. Die Leinen sind dank Farbcodierung gut zu sortieren. Nur die Galerieebene kann gelegentlich etwas hakeln. Aufziehen sollte man den Schirm am besten nur mit den inneren A-Gurten, selbst bei Nullwind-Vorwärtsstarts. Der Schirm füllt dann harmonisch von der Mitte heraus. Überhaupt gehört der Geronimo 2 zu jener Art Schirmen, die sehr früh ihre gesamte Spannweite ausbreiten und dann als Block unbeirrt und konstant nach oben steigen (vgl. Rush 4). Kein plötzliches Vorschießen, das gefährlich abgefangen werden muss; kein störendes Ausbrechen bei leichtem Seitenwind. Das klappt vorwärts wie rückwärts vorbildlich und gibt Vertrauen. Mit diesem Schirm würde ich getrost auch von etwas schwierigeren Bergstartplätzen in die Luft kommen wollen.
Nur bei kräftigem (>20 km/h) Wind wird die Kappe etwas anspruchsvoller. Das frühe Füllen der gesamten Spannweite bedeutet, dass schnell viel Fläche im Wind steht, die gebändigt werden will. Hier ist ein aufmerksamer, vor allem schnellfüßiger (der Kappe entgegen laufender) Pilot gefragt. Wer meint, alles über die Bremse abfangen zu können, wird schneller einmal ausgehebelt werden, als es ihm lieb ist. Die Kontrolle über die C-Ebene funktioniert, lässt aber nicht ganz so fein dosierte Bodenspiele zu wie ein Base oder ein Rook 2.

Landen: nichts auffälliges. Der Stallpunkt der Kappe ist nicht ganz eindeutig zu erfühlen, etwas schwammig.

Bremsen: Der Geronimo 2 hat einen normalen Vorlauf von rund 10 cm, dann setzt die Bremswirkung an der Hinterkante sichtbar ein. Die Bremse greift von Anfang an sehr harmonisch über die gesamte Breite. Der Bremsdruck ist im mittleren Bereich angesiedelt und steigt auch nicht so markant an wie bei manch anderen Schirmen mit Shark-Nose. Das ergibt im klassischen Zugbereich einen sehr angenehmen Widerstand. Die nötigen Bremswege sind durchschnittlich. Es hängt stark von der eigenen Flug- bzw. Kurventechnik ab, ob man beim Geronimo 2 meint, er hätte sehr lange oder sogar vergleichsweise kurze Bremswege. Unterm Punkt "Kurvenflug" gehe ich darauf genauer ein.

Die Eintrittskante des Geronimo hat eine moderate Shark-Nose
mit gekreuzten, relativ weichen, packfreundlichen Stäbchen.
Kappenfeedback: Die Kappe des Geronimo 2 weist eine hohe Querspannung und eine mittlere Dämpfung auf. Der Pilot erfährt alles Nötige, was um ihn herum in der Luft los ist, ohne ihn zu überfrachten. Die Kommunikation findet dabei zum größten Teil über die Tragegurte statt. Die Bremse als Feedback-Kanal bleibt weitgehend stumm. Nur wenn die Kappe ihre Querspannung verliert, z.B. bei kleineren Klappern, wird die Bremse markant weicher und zeigt, dass man nun eingreifen sollte.

Gewichtssteuerung: Der Geronimo 2 reagiert eher gemächlich auf eine Gewichtsverlagerung. Ein hohes Aufschaukeln nur übers Gurtzeug ist schon eine Kunst. Dennoch ist es ratsam, das Gewicht als Kurvenflughilfe stets mit einzusetzen. Es macht einen großen Unterschied.

Kurvenflug: Mich würde es nicht wundern, wenn verschiedene Piloten nach einem Testflug völlig konträr über das Kurvenflugverhalten des Geronimo 2 berichten. Dieser Schirm kann sowohl sperrig sein, als auch vergleichbar gut ums Eck kommen. Alles ist eine Frage der jeweiligen Flug- und Steuertechnik. Wer einfach nur stur an der Innenbremse zieht, wird die Einleitung als verzögert empfinden und dann erstaunlich viel Bremse setzen müssen, um das Gefühl zu haben, dass aus der Kurve wirklich noch was wird. Nimmt man vorab das Gewicht hinzu, geht alles schon etwas besser und runder. Harmonisch wird es allerdings erst, wenn man bewusst auch mit der Außenbremse arbeitet. Gewicht, Außenbremse lösen, Innenbremse (nur) bei Bedarf nachziehen - in dieser Reihenfolge absolviert, wird ein schöner, satter und sogar enger Kreis daraus. Wenn man dieses Verhalten einmal verstanden und das entsprechende Timing automatisiert hat, wird aus dem Geronimo 2 zwar noch kein verspielter Freestyler, aber ein Schirm, den man auch in der Thermik mit erstaunlich wenig Bremsweg sauber pilotieren kann. Nur wenn man schon mit völlig offener (Außen-)Bremse fliegt, zeigt der Geronimo 2 wieder seine sperrige Seite. Ein schnelles Nachdrücken fällt dann schwer. Als Trick bleibt noch, die innere Bremshand quer vor dem Körper zur anderen Seite zu führen. Durch dieses "Brake-Shifting" wird der Stabilo des Innenflügels stärker angebremst, und der Schirm schwingt herum. Netterweise ist die Bremse am Tragegurt mit einem relativ langen Band befestigt, was diese Steuertechnik beim Geronimo 2 erleichtert. Man sollte sie im Repertoire haben!

Das Sonnenlicht-"Röntgenbild" zeigt die komplexe Innenstruktur
mit aufgefächerten Streifendiagonalen, 4-Zell-Überspannung,
diversen Spannbändern etc. 
Thermikeigenschaften: Um mit dem Geronimo 2 effizient in der Thermik kreisen zu können, sollte man die unter "Kurvenflug" beschriebenen Besonderheiten verstanden haben. Dann erweist sich der Schirm als sehr angenehmer Kurbler, der auch gut steigt. Etwas schwieriger wird es in enger, starker Thermik. Der Flügel neigt dazu, sich beim Einflug etwas aufzustellen und dann aus dieser Position heraus nur zögerlich einzukreisen. Wieder gilt es, das richtige Timing aus Gewicht vor Außenbremse vor Innenbremse  zu finden, um diese Sperre zu knacken. Wer es raus hat, wird den Flügel wiederum als willigen Kurbler erleben. Nur beim schnellen Nachdrücken in engen Kernen bleibt der Geronimo 2 stur. Wer hier etwas erzwingen will, wird mit einem Pendler belohnt, der einen aus dem Ansatz des engeren Kreises gleich wieder herauswirft. Überhaupt hat der Geronimo 2 die Vorliebe, flach zu drehen und dann auch am besten zu steigen. Wenn die Thermik das hergibt, sollte man ihm diesen Willen ruhig lassen.
Fällt man aus der Thermik heraus, zeigt sich eine hohe Pitchstabilität. Der Schirm nickt nur wenig vor, sackt eher etwas durch. Das erspart dem Piloten Schreckmomente, nimmt aber auch etwas an Reaktionsfähigkeit. Schnelle Haken zurück in den Bart gehören nicht zu den Stärken des Flügels.

Beschleuniger: Neben den vielen positiven Details des Geronimo 2 ist der Beschleuniger nur Durchschnittsware. Erstens sind am Tragegurt nur kleine Rollen zu finden, die das Drücken des Gaspedals nicht unbedingt erleichtern. Wer gerne viel mit dem Gas spielt, wird das mit diesem Schirm schneller mal in den Beinen spüren.
Zweitens gehört der Geronimo 2 im Rund der High-B-Schirme eher zu den langsameren Kandidaten. Das gilt sowohl für Trimm-, als auch für Fullspeed. Rolle auf Rolle legt der Schirm eher wie ein Mid-B gerade mal rund 10 km/h zu. Dafür bleibt die Polare in diesem Geschwindigkeitsfenster angenehm flach. Spezielle C-Handles für die Steuerung über die C-Ebene am Tragegurt besitzt der Schirm nicht.

Ohren anlegen: Die Ohren des Geronimo 2 legen sich sehr sauber an und schlagen auch im beschleunigten Zustand nicht. Allerdings sind die damit erzielbaren Sinkwerte eher moderat. Beim Wiederöffnen erweisen sich die Ohren als etwas hartnäckig. Sie bleiben meistens drin und müssen vom Piloten aktiv aufgepumpt werden.

Steilspirale: Bei der klassischen Einleitung der Steilspirale lässt der Geronimo 2 dem Piloten viel Zeit bis der Schirm tatsächlich abkippt. Einmal drin, kann er aber schnell hohe Sinkwerte erreichen. Die Ausleitung ist dann verzögert, die Kappe dreht gerne etwas nach. Ein bewusster Impuls mit der Außenbremse kann hier nachhelfen. Wer noch wenig Erfahrung mit der aktiven Ausleitung von Steilspiralen hat, sollte sich mit dem Geronimo 2 etwas langsamer an dieses Manöver herantasten.

Frontklapper: nicht gezogen.

Seitenklapper: Ich habe mittlere Klapper bis 70% gezogen (nur unbeschleunigt). Der Schirm dreht unaufgeregt ab. Allerdings zeigt sich hier die gleiche Eigenschaft wie beim Ohrenanlegen: Der Außenflügel tendiert dazu, nur verzögert zu öffnen. Der Pilot sollte bereit sein nachzuhelfen.

Nicken: Der Geronimo 2 besitzt ein im Pitch deutlich gedämpftes Profil. Damit lässt er sich nur zäh weit aufschaukeln. Beim Vornicken nimmt der Flügel schnell die Energie wieder heraus. Mit wenig Bremseinsatz bringt man das ganze System leicht wieder ins Lot.

Rollen: Auch beim Rollen zeigt der Geronimo 2 nur schwache Freestyler-Gene. Mit dem passenden Timing sind zwar auch noch hohe Wingover möglich, doch die verlangen etwas Geduld und Überzeugungskraft.

Die Gibus-Archs zur besseren Lastverteilung über der
C-Ebene sind weich und stören beim Packen nicht.
Packen: Ein echter Pluspunkt des Geronimo 2! Trotz der Standardmaterialien ist sein Aufbau mit eher kurzen, flexiblen Stäbchen und den weit ausgeschnittenen Rippen und Diagonalen sehr packmaßfreundlich. Zudem ist keine besonders schonende Packtechnik nötig. Der mitgelieferte , recht kompakte Innenpacksack besitzt an den Seiten Reißverschlüsse zur Komprimierung. Das Endergebnis ist durchaus hike&fly freundlich.

Qualität: da gibt es nix zu meckern. Tragegurte und Kappennähte sind sauber ausgeführt. Viele eingangs beschriebene Konstruktionsdetails zeugen von einem durchdachten, robusten Produkt. Gewünscht hätte ich mir noch, dass auch die Diagonalen an ihren Flanken als Dehnungsbremse umgenäht wären, wie es beim CrossCountry vom gleichen Designer durchaus gemacht wird.

Fazit: Independence hat mit dem Geronimo 2 einen B-Schirm im Programm, der ein interessanter Hybrid aus Leistungsorientierung (u.a. hohe Zellenzahl) und Breitentauglichkeit darstellt. Nicht nur vom einfachen Startverhalten und der deutlichen Nickdämpfung her sollten sogar talentierte Aufsteiger in die B-Klasse damit schon gut zurecht kommen. Ein Jedermann-High-B. Nur das Kurven- und teilweise das Extremflugverhalten entspricht eher dem gestreckterer Kappen, was etwas Eingewöhnung verlangt. Wer einen Freestyler oder echten Streckenracer will, hängt beim Geronimo 2 unterm falschen Schirm. Wer hingegen nicht das Extreme sucht, sondern einen ehrlichen Schirm, der auch an kurzen Startplätzen, beim "lässigen" Streckenfliegen, beim gelegentlichen Hike&Fly, also im Flugalltag eines typischen EN-B-Piloten eine gute Figur macht, der dürfte den Geronimo 2 als positive Überraschung erleben.


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