Die Corona-Pandemie beherrscht auch die Gleitschirm-Szene. // Collage: Lu-Glidz |
Die Lage ist Ernst! Die Corona-Pandemie ist auf dem Weg, und sie ist auch auf dem Weg, zur größten Krise in der Geschichte der Gleitschirmszene zu werden. Damit sind allerdings nicht die möglichen Beeinträchtigungen der Gesundheit von Piloten gemeint, sondern das gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld, indem wir unseren Sport ausüben. Was da in diesem Jahr noch alles auf uns zukommt, ist kaum absehbar. Nur manche Trends sind schon zu erkennen.
In Italien beispielsweise ist das Gleitschirmfliegen derzeit de facto "gegroundet", weil die Menschen sich allgemein nicht mehr frei bewegen dürfen. Fast im gesamten Alpenraum sind die Bergbahnen still gelegt. Wer fliegen gehen will, muss auf lokales Hike-and-Fly setzen. Größere XC-Abenteuer, wie sonst im jetzt anstehenden Frühjahr, wird man da kaum noch anstreben wollen. Denn keiner kann wissen, wie gut man aus fernen Regionen wieder zurückkommt. Per Anhalter eine Mitfahrgelegenheit zu erwischen, ist in diesen Zeiten der Vorsicht und des Abstandhaltens deutlich erschwert.
Der italienische Gleitschirmverband FIVL hat konsequenterweise sogar schon die nationale Online-Wertung im XContest ausgesetzt. Kein Pilot soll animiert werden, die mangelnde Konkurrenz in Krisenzeiten auszunutzen und sich mit langen Flügen vielleicht einen Vorteil zu verschaffen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Verbände anderer Länder bald mit ähnlichen Argumenten nachziehen und ihre Online-Contests aussetzen.
Mit bangem Blick schauen die Flugschulen und dort beschäftigte Fluglehrer-/innen in die Zukunft. Anfängerschulungen an kleinen Übungshügeln sind mancherorts derzeit noch möglich. Doch für Kurse mit Höhenflügen im Alpenraum gibt es auf absehbare Zeit keine Planungssicherheit. Sie könnten unter Umständen noch für einige Monate ausfallen – und damit die Einnahmen aus entsprechenden Kursgebühren. Schon jetzt haben manche größere Flugschulen damit begonnen, ihr Personal zu reduzieren. Fluglehrer erhalten die Kündigung und müssen sich arbeitslos melden. Wer als freier Fluglehrer auf Basis von Tageshonoraren arbeitet, steht mit leeren Händen da.
Dämpfer mit Fernwirkung
Bedenklich ist dabei: Diese Krise wird nicht gleich vorüber sein, selbst wenn im besten Fall schon in einigen Wochen die Corona-Welle ihren Schwung verlieren und die Gesellschaft wieder an Freiheit gewinnen sollte. Für die Gleitschirmszene wird die aktuelle Lage als deutlicher Dämpfer auch noch Fernwirkungen entfalten.
Jeder potenzielle Flugschüler, der in diesem Frühjahr keinen A-Schein macht, wird auch später im Jahr nicht nach dem B-Schein streben und dann vielleicht im nächsten Winter auch (noch) keinen Fliegerurlaub bei seiner Flugschule buchen, usw. Diese Einnahmekette als Mischkalkulation ist für die Flugschulen aber enorm wichtig, da sie mit den Kursgebühren für einen A-Schein allein kaum tragfähig wirtschaften können.
Der Ausfall bei den Kursen bedeutet auch einen Ausfall beim Materialverkauf. Und das bekommen dann nicht nur die Flugschulen, sondern auch die Gleitschirmhersteller zu spüren. Für sie ist das Massengeschäft mit A- und B-Schirmen eine wichtige Grundlage; und dafür braucht es einen steten Strom von Neulingen, die sich erst den A- und in der Regel wenig später einen B-Schirm kaufen. Derlei Investitionen fallen nun aber aus oder werden erst einmal zurückgestellt.
Manche Hersteller haben schon damit begonnen, sich für die absehbar härteren Zeiten zu wappnen. Es wurden schon Team-Piloten-Treffen und Sponsoring für Events in Europa abgesagt, auch wurden Anzeigen in Gleitschirm-Magazinen gecancelt. Wenn das die Runde macht, dürften Thermik, Cross Country & Co in nächster Zeit eher etwas dünnere Heftchen liefern.
Große Fragezeichen gibt es auch für den kompletten Wettbewerbs-Betrieb in diesem Jahr. Deutsche und Österreichische Liga, Swiss League, PWCs, die Gleitschirm-Europameisterschaft im Juli in Serbien, alle Events des Acro-Weltcups einschließlich der Acro-Weltmeisterschaften im August in Italien stehen derzeit unter Vorbehalt. Vielleicht wird 2020 gar als das Corona-Jahr ohne Meisterschaften in die Gleitschirm-Geschichte eingehen.
Hausbergflieger im Vorteil
Am wenigsten betroffen von dem ganzen Schlamassel sind derzeit alle schon fertig geschulten Ottonormal-Piloten, die sich auch mit Hausbergfliegerei zufrieden geben. Sie werden vielleicht des öfteren zum Startplatz wandern müssen. Aber das können sie mit dem guten Gefühl tun, dabei ihr Immunsystem an frischer Luft und unter der desinfizierenden UV-Strahlung der Sonne zu trainieren. So gesehen erscheint Gleitschirmfliegen fast als Idealsportart in Zeiten einer Pandemie.
Ganz unbeschwert wird man allerdings dann doch nicht in die Luft gehen können. Gleitschirmfliegen ist kein Muss für die Gesellschaft, sondern purer individueller Luxus und Lustgewinn, bei dem wir auch ein gewisses Unfallrisiko in Kauf nehmen. Im normalen Alltag ist dieses Risiko durch die Strukturen von Rettungs- und Gesundheitssystemen gut abgedeckt bzw. es gilt als vertretbar. In Zeiten mit wachsender und zum Teil schon extrem hoher Belastung von Kliniken etc. durch Corona-Fälle ist jeder von vornherein vermiedene (Un-)Fall ein Segen; und zwar nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für viele andere.
Vielleicht ist es oder wird es noch allgemein ratsam, den Sturm der Corona-Pandemie am Boden auszusitzen.
6 Kommentare
Traurig aber wahr. Ich bin zwar Drachenflieger aber für uns "Dinosaurier des Hängegleiten gilt ja das gleiche.
AntwortenLöschenSehr gut geschrieben, ohne großartige Effekthascherei auf den Punkt gebracht. Auch ich denke zur Zeit intensiv drüber nach, bis zum Durchlaufen des Infektionspeaks erstmal am Boden zu bleiben. Harte Zeiten, aber nicht nur für uns Paragleiter. Mein Mitgefühl gilt auch allen Kräften im Pflege- und Gesundheitsbereich.
AntwortenLöschenHallo Lucian,
AntwortenLöschenzuerst mal Respekt, die Kommentarfunktion in dieser Art und Weise einzuschränken war längst überfällig !! Anonym, beleidigende Kommentare abzugeben finde ich Feige und nicht akzeptabel !! Ich glaube nicht das es nur Flugschulen oder Hersteller davon betroffen sein werden, sondern die gesamte funktionierende Infrastruktur in unseren Lieblingsfluggebieten wird stark darunter leiden. Wenn ich mich aber auf paar Flugschulseiten umschaue, läuft der Betrieb mit zum Teil fast schon unhaltbaren Äusserungen
zur Infektionsgefahr einfach weiter.
Ach so das ist mein erster Kommentar auf deiner Seite, Grund war immer das ich keinen Bock hatte mich von "Anonym" blöd anmachen lassen.
Grüße aus Wangen im Allgäu
Thomas Heinrich
Sehr gut geschrieben!
AntwortenLöschenDie Kommentare restriktiv zu moderieren ist absolut die richtige Maßnahme, um neben den tollen Artikeln auch die dazu gehörigen Kommentare lesbar zu halten. Wenn ich schon im ersten Kommentar von Verschwörungen und Individualwahrheiten lese, hab ich keine Lust mehr weiter zu blättern. Leider gehen dadurch im Folgenden durchaus qualifizierte Anmerkungen für mich - und vermutlich auch andere - verloren.
AntwortenLöschenZum Thema: In NRW wurden aktuell "Zusammenkünfte in Sportvereinen" untersagt. Mir stellt sich da die Frage, wie weit dabei die Fahrgemeinschaft zum Startplatz oder das gemeinsame Para-Waiting betroffen sind. Auch wenn ich absolut der Meinung bin, dass zunächst nur extreme Maßnahmen die Ausbreitung dieses Virus bremsen können, schmerzt es nun doch, dass auch unser "Individualsport" davon schwer betroffen ist.
Vielleicht ist dies nun die richtige Zeit, um zumindest den Flugschulen mit Checkbetrieb etwas zu helfen. Die Fluggeräte können jetzt sicher ohne Verlustempfinden zum Check, die Rettungsgeräte zum Packen gegeben werden - sofern nicht schon geschehen. Ich denke nicht, dass in 2-3 Wochen wieder alles beim Alten ist und sich jeder seinen mehr oder weniger "egoistischen Freizeitinteressen" hingeben kann.
Da sicher auch Lucian in nächster Zeit weniger über unseren Sport zu berichten hat, sollten wir ihn trotzdem nicht vergessen und den einen oder anderen 10er, der für die Bergbahn gedacht war, an ihn spenden.
Detlef Kirchhoff
Bielefeld
Die Gemeinde in Kella hat das Gleitschirmfliegen vorerst verboten. Wir als Vereinspiloten werden uns daran halten. Als Grund wird das Corona Virus genannt. Am letzten Wochenende waren einige Gastpiloten vor Ort und die Einwohner haben Angst, das das Virus eingeschleppt wird. Abgesehn von wieder einmal zwei Baumlandungen.......
AntwortenLöschenGruss Mayer
Reinhard May Eschwege
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