Die Zweileiner ziehen bald massiv in die C-Klasse ein. Wie stark wird sich dieser Wandel auf die gesamte Gleitschirmszene auswirken? 

Einblick in den EN-C-Zweileiner Sol LT2.
// Quelle: Sol
 
2023 wird das Jahr einer kleinen Revolution mit größeren Auswirkungen. Zwar brachte Airdesign mit dem Volt 4 den ersten EN-C-Zweileiner schon 2022 auf dem Markt. Doch der richtige Durchbruch dieser Bauweise wird in diesem Jahr kommen. 

Etliche Marken haben erste C-Zweileiner angekündigt und teilweise schon vorgestellt. Einiges davon wird spätestens ab Frühjahr in der Luft zu sehen sein: Sol LT-2, Niviuk Artik R, Ozone Photon, Gin Bonanza 3. 

Auch von Macpara, Nova, Flow, Skywalk, Swing und Drift u.a. ist bekannt, dass sie an C-Zweileinern arbeiten. Die Modellauswahl in dieser Klasse wird schon bald sehr viel breiter sein.

Die Einführung der Zweileiner bringt einen echten Leistungssprung in der C-Klasse. Das hat nicht nur mit der Leinenreduktion und dem damit verbundenen geringeren Leinenwiderstand zu tun. Die Zweileiner-Bauweise ermöglicht es, die Profilform bei der Anstellwinkelveränderung für den beschleunigten Flug über die gesamte Flügelspannweite näher am Optimum zu halten. Das bedeutet vor allem eine flachere Polare, was sich wiederum in eine höhere Endgeschwindigkeit ummünzen lässt, ohne dass die Gleitleistung voll beschleunigt störend in den Keller rauscht.

Leistungstechnisch ist deshalb zu erwarten, dass die meisten EN-C Zweileiner mindestens auf dem Niveau guter heutiger EN-D-Dreileiner unterwegs sein werden. In etlichen Fällen könnten sie dieses sogar erkennbar übertreffen.

Gegenüber bestehenden C-Dreileinern bedeuten die C-Zweileiner damit einen regelrechten Klassenunterschied. Allerdings spielt sich das klassen-intern ab. All das wird nicht ohne Folgen bleiben, und zwar für die gesamte Gleitschirmszene. Hierzu einige orakelnde Antworten auf anstehende Fragen:  

Werden die neuen Zweileiner die Dreileiner in der C-Klasse verdrängen?

Vermutlich ja, aber nicht sofort. Der große Leistungssprung wird schnell dazu führen, dass Piloten mit größeren XC- und Wettbewerbsambitionen in der Sportklasse auf Zweileiner umsteigen. Einfach weil sie meinen, Zweileiner fliegen zu "müssen", um vorne mit dabei sein zu können. 

Zudem dürften etliche Piloten, die bisher EN-D-Geräte flogen, auf EN-C Zweileiner wechseln. Dahinter könnte auch der Wunsch stehen, an den trendigen Sportklasse-Wettbewerben wie der Sports-Class Racing Series (SRS) oder dem Paragliding Grand Prix teilzunehmen, in denen maximal EN-C-Schirme zulässig sind. 

2023 wird somit ein Jahr der "early adopters" sein. Die Erstkäufer sind die typischen Vorreiterpiloten, die immer auf das neueste und leistungsstärkste Material setzen. Doch wenn in den Ergebnislisten und Flugberichten die Leistungsvorteile im Laufe der Saison immer deutlicher werden, dann haben C-Zweileiner ab 2024 das Zeug zum Massenphänomen. 

In der Folge wird sich auch für die Hersteller die Frage stellen: Lohnt es sich noch, weiterhin Drei- oder neuerdings 2,5-Leiner für die C-Klasse zu entwickeln? Vieles spricht dafür, dass zumindest der klassische Dreileiner in der C-Klasse in den nächsten Jahren zum Auslaufmodell wird.

Was wird mit der D-Klasse?

Die aktuelle Generation der EN-D-Dreileiner wird sicher die letzte sein. In der D-Klasse werden Zweileiner zum neuen Standard. Und sie werden im Durchschnitt eher noch mehr auf maximale  Leistung orientiert sein als bisher, allein um sich überhaupt noch von der C-Klasse absetzen zu können. 

Der Marktanteil der EN-D-Schirme dürfte damit deutlich sinken. Interessant bleibt diese Kategorie im Grunde nur für Piloten, deren Ambitionen eindeutig Richtung Liga und PWC gehen - als Vorstufe zu einem echten CCC-Schirm.

Was bedeutet die Einführung der C-Zweileiner für die Sicherheit?

Dies ist eine der spannendsten Fragen der nächsten Jahre. Zweileiner-Profile sind sehr stabil und können über die B-Ebene im Grunde sogar effektiver "aktiv" geflogen werden als klassische Dreileiner. Allerdings können sie im Fall einer Störung anspruchsvoller reagieren und häufiger das Eingreifen des Piloten erfordern, um überhaupt wieder in den Normalflug zurückzukehren. 

Kurz und sehr pauschal gesagt: Zweileiner bieten eine bessere aktive, aber eine schlechtere passive Sicherheit. Unterm Strich bekommt der Leistungsstand des Piloten eine noch größere Bedeutung für das Sicherheitsniveau.

Bei den "early adopters" kann man davon ausgehen, dass die meisten von ihnen die nötigen Pilotierfähigkeiten mitbringen, die ein C-Zweileiner erfordert. Die Einführung dürfte deshalb unterm Strich anfangs eher nicht zu steigenden Unfallzahlen führen. Das könnte wiederum der Szene den Eindruck vermitteln, die Zweileiner seien allgemein ausreichend sicher. 

Spannend wird die Entwicklung in den Folgejahren, wenn eine breitere Masse von Piloten sich den Umstieg auf einen Zweileiner zutraut. Man darf bezweifeln, dass alle den ausreichenden Trainingsstand dafür haben werden. 

Zumal sich mit den Zweileinern eine weitere Problematik ergibt: Normale Front- und Seitenklapper lassen sich damit kaum noch im Rahmen eines SIV trainieren, weil diese nur mit Klappleinen sauber gezogen werden können. Die Schere zwischen dem Anspruch durch den Schirm an den Piloten und dessen erprobtem Können dürfte auseinander gehen.


Beeinflussen C-Zweileiner auch die B-Klasse?

Auf kurze Frist betrachtet erst einmal wenig. Der Einzug der C-Zweileiner wird nur einige der in der B-Klasse schon aufkommenden Trends noch verstärken: Beispielsweise werden sicher immer mehr High-B-Schirme als hybride 2,5-Leiner konstruiert, um ein "Zweileiner-Feeling" zu bieten. Flow Freedom 2, Ozone Rush 6 und Nova Mentor 7 light zeigen heute schon, wohin die Reise geht.

Der Einsatz bzw. das Angebot von Modellen mit Tragegurten, die eine BC-Steuerung ermöglichen, wird auch bei klassischen Dreileinern in die Mid-B und sogar High-A-Bereiche weiter vordringen. 

Auf längere Sicht ist zu erwarten, dass bestimmte Bauweisen, die für Zweileiner typisch sind, sich immer stärker zumindest im High-B-Sektor wiederfinden werden. Dazu dürfte vor allem der Einsatz ähnlicher Profile und eine flügeltiefe Verstabelung gehören. Damit sind ebenso eine höhere Stabilität, aber auch eine schwerer normkonforme Klappbarkeit im Rahmen von SIV verbunden. Das wirft für den Bereich High-B ganz ähnliche Sicherheitsfragen auf, wie oben schon für die C-Zweileiner beschrieben.


Soweit die C-Orakelei von Lu-Glidz. Alle Aussichten sind ohne Gewähr. Denn wie heißt es so schön: Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Vielleicht siehst Du manches anders? Schreibe doch einen Kommentar! Vergiss dann bitte nicht, ihn mit deinem vollen Namen zu kennzeichnen. Nur dann werden sie gemäß den Lu-Glidz-Kommentarregeln auch freigeschaltet. Anonyme Kommentare bleiben für andere Leser unsichtbar.