Gurtzeuge werden immer strömungsoptimierter. Darunter leidet die Rundumsicht für die Piloten. Die blinden Flecken werden größer

Die Sicht nach unten ist bei einem Piloten im
Submarine-Gurtzeug stark eingeschränkt.
// Bild und Grafiken: Bach Le Hoang

In diesem Jahr gab es bei einem Wettbewerb einen kuriosen Unfall. Zwei Piloten flogen beschleunigt an einer Geländekante entlang, der eine nur wenige Meter höher als der andere, aber knapp dahinter. Als der Tiefere aus dem Gas ging, setzte sein Schirm die Überfahrt in Höhe um. Er stieg genau in die Flugbahn des anderen. Bei der Kollision verhedderten sich Gurtzeuge und Schirme, die Piloten zogen ihre Rettungen. Der Vorfall ging glimpflich aus. 

Interessant war die Aufarbeitung des Geschehens: Beide Piloten stellten fest, dass sie sich gegenseitig in keinem Moment gesehen hatten, obwohl sie so dicht beieinander flogen. Sie waren jeweils genau im toten Winkel des anderen gewesen. Beide flogen moderne Wettkampf-Liegegurtzeuge im Submarine-Stil. Deren aufgeblasene Gurtzeughüllen kragen in alle Richtungen weiter aus und nehmen so die Sicht auf große Anteile des umliegenden Luftraums.


Simulationen der Rundumsicht

Wie groß ist dieses Problem des blinden Flecks? Der vietnamesische PWC-Pilot Bach Le Hoang hat mit Hilfe eines 3D-Grafikprogramms verschiedene Modelle von Piloten in typischen Gurtzeugen erstellt, um die jeweils sichtversperrten Bereiche zu simulieren. 

Tote Winkel bei einem
Sitzgurtzeug


Ein Pilot, der in einem offenen Sitzgurtzeug unterwegs ist, hat in fast alle Richtungen eine freie Sicht – mit Ausnahme eines schmalen Streifens unter und hinter sich. Nach unten liegen seine Oberschenkel und das Gurtzeug im Blickbereich. Nach hinten sorgt die eingeschränkte Rotation des Kopfes für einen „blinden“ Streifen. Die Grafik zeigt die Sichteinschränkung jeweils auf drei Ebenen: horizontal, senkrecht längs und senkrecht quer. Betrachtet man als Beispiel nur die plane Sichtebene vor dem Piloten (senkrecht quer, ganz rechts), so wird von den 360 Grad eines Rundumblicks ein Anteil von etwa 30 Grad ausgeblendet. (Tipp: Klick in die Grafik zum vergrößern)

Tote Winkel bei einem
klassischen Liegegurtzeug

Fliegt der Pilot ein klassisches Liegegurtzeug, wird dieser blinde Fleck schon deutlich größer. Durch die gestreckten Beine und den Beinsack ist ein weiterer Teil des Umfeldes nach vorne und unten ausgeblendet. Auch nach hinten wächst der tote Winkel, weil hier die mittlerweile üblichen Heckbürzel einen Teil der Sicht versperren. Betrachtet man wieder nur die plane Sichtebene quer vor dem Piloten (ganz rechts), so werden in diesem Fall von den 360 Grad schon etwa 40 Grad ausgeblendet.

Tote Winkel bei einem
Submarine-Gurtzeug

Nochmals deutlich schlechter sieht es bei Submarine-Gurtzeugen aus. Diese besitzen noch längere Heckbürzel. Ihre Außenhülle wird zudem durch Staudruck von innen aufgeblasen. Dadurch ergibt sich zwar ihre strömungsgünstige Torpedoform. Allerdings sind die Gurtzeuge damit auch breiter. Ein Pilot kann deutlich schlechter an den Seiten nach unten blicken. Von der planen Sichtebene (Grafik ganz rechts) bleiben bereits rund 100 der 360 Grad versperrt.


Kappen verschwinden im Blickschatten  

Ein tieferer Schirm muss
sich auf mindestens drei
Meter nähern, damit die
Flügelspitzen aus dem
toten Winkel kommen.

Bach Le Hoang hat auch simuliert, in welchen Fällen ein Pilot in einem Submarine-Gurtzeug überhaupt die Chance hätte, einen direkt unter ihm fliegenden Schirm wahrzunehmen. Nun sollte man meinen, dass zumindest die Außenflügel gestreckter Wettkampfschirme mit etwa zwölf Meter Spannweite so weit nach rechts und links reichen, dass sie schnell ins Blickfeld rücken. Die Berechnungen zeigen aber etwas anderes: Der durch das Gurtzeug „verschattete“ Blickbereich ist so groß, dass ein direkt darunter fliegender Schirm erst dann ins Sichtfeld des oberen Piloten gerät, wenn die untere Schirmkappe nur noch drei (!) Meter entfernt ist. Wer tiefer fliegt, bleibt ausgeblendet.

Der am Anfang beschriebene Unfall ist deshalb kein Beispiel für ein kleines Restrisiko, sondern für ein wachsendes und system-bedingtes Sichtbarkeits- und daraus folgendem Sicherheitsproblem.

Als Gleitschirmflieger sollte man sich stets bewusst sein, wie groß der bei unterschiedlichen Gurtzeugtypen ausgeblendete Sichtbereich typischerweise ist. Und das am besten nicht nur für sich selbst, sondern auch für alle anderen, mit denen man sich in der Luft befindet. Denn zur eigenen Sicherheit ist es ratsam, sich aus dem Blickschatten der anderen fern zu halten.


Blinde Flecken vermeiden

Größe der blinden Flecken
der drei Gurtzeugtypen

Um andere Schirme im Sichtfeld zu behalten bzw. um von anderen Piloten immer gesehen werden zu können, sollte man sicherheitshalber niemals direkt über oder unter ihnen fliegen. Vielmehr gilt es, die eigene Route mit einem gewissen (seitlichen) Sicherheitsabstand zum Flugpfad des anderen zu legen. Nur so gibt man sich gegenseitig die Chance, einander überhaupt wahrnehmen zu können. Begegnet man in der Luft Piloten mit normalen Liegegurtzeugen oder gar Gurtzeugen im Submarine-Stil, sollte man besser auf einen noch größeren Abstand achten.

Honorin Hamard fliegt bei
Wettbewerben mit Spiegel
// Foto: H. Hamard
Da der Trend hin zu Liegegurtzeugen und im Besonderen hin zu Submarine-Gurtzeugen geht, wächst das Blinde-Fleck-Problem in der Gleitschirmszene. Es ist an der Zeit, sich über Hilfsmittel Gedanken zu machen, um die toten Winkel im Sichtfeld wieder zu verkleinern.

Die simpelste Lösung könnte darin bestehen, kleine konvexe Totwinkelspiegel zu nutzen, die man zum Beispiel auf dem Cockpit, am Tragegurt oder am Handschuh befestigen kann. Damit ließe sich zumindest ein Teil des sichtversperrten Umfeldes wieder in den Blick nehmen.


Ein Dank an Bach Le Hoang, der mir die aussagekräftigen Grafiken für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt hat.


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